Japan: Tinte, Dampf und Neon
- samkobernat

- 9. Okt.
- 5 Min. Lesezeit

Ich kam in Tokio an, kurz bevor sich die Züge mit dem Morgenansturm füllten. Die Stadt fühlte sich wie ein gestimmtes Instrument an. Schilder sangen in Farbe, Automaten summten, und eine sanfte Stimme auf dem Bahnsteig rief die Menschen in Bewegung. Meine erste Regel für Japan kam schnell: Passe dich dem Rhythmus an, nicht dem Tempo. Man „macht“ Tokio nicht. Man lässt sich mitreißen und tritt dann zur Seite, wenn man Ruhe braucht.
Tokio: den Fluss in der größten „Dorfstadt“ der Welt finden
Ich begann in Asakusa mit einer Schüssel heißer Soba, während Räucherduft vom Sensō-ji herüberwehte. Wer früh kommt, teilt den Tempel mit Ladenbesitzern, die Glücksbringer auslegen, und Schulklassen. Hände waschen, Rauch über die Schultern fächeln, durch die Nakamise-Arkade gehen, bevor das Tageslicht die Rollläden „aufmalt“. Für Fotos seitlich vom Haupttor stehen, damit Laternen, Menschen und Pagode in einem Bild liegen.
Dann nahm ich das Flussboot die Sumida hinunter zu den Hamarikyu-Gärten. Tokios Trick ist der Kontrast. Ein Teehaus auf stillem Wasser, mit spiegelnden Türmen ringsum. Matcha und eine Süßigkeit bestellen. Wenn möglich auf den Fersen sitzen. Die Stadt entspannt, wenn du es tust.
Shibuya und Shinjuku kamen als Nächstes. Die berühmte Kreuzung überquerte ich zweimal ohne Kamera, um die Muster der Menschen zu sehen. Danach stieg ich in ein Café am Fenster und fotografierte von oben, als sich bei leichtem Regen die Schirme öffneten. In Golden Gai ließ ich die Kamera in der Tasche und hörte zu. Sechs Plätze an einem Tresen, eine Wand voller Vinyl, ein Barkeeper, der jede Platte kennt. Wer dorthin geht, kommt früh und beachtet die Regeln. „Cover charge“ ist üblich. Vor dem Fotografieren fragen.
So bewegst du dich in Tokio
Suica oder PASMO besorgen. Einchecken. Auschecken. Gilt für Bahn, U-Bahn, Bus.
Drei Sätze lernen: sumimasen, arigatō, onegaishimasu. Sie öffnen Türen.
Tage nach Vierteln planen. Distanzen wirken klein auf der Karte und groß zu Fuß.
Nikkō und Hakone: Schreine, Zedern und Dampf
Als das Neon zu verschwimmen begann, nahm ich morgens den Zug nach Nikkō. Die Zedernallee fühlte sich wie ein tiefer Atemzug nach Wochen in Städten an. Im Tōshō-gū wirken die Schnitzereien lebendig, von schlafenden Katzen bis zu drei kleinen Affen, die den Ton für jeden Souvenirstand der Stadt setzen. Details statt nur Torbögen fotografieren. Nikkō belohnt leise Linsen: Lack, Blattgold, Moos auf Stein.
Zurück Richtung Tokio verbrachte ich eine Nacht in Hakone, um Klingeltöne gegen Onsen-Wasser zu tauschen. In ein Ryokan mit Abendessen einchecken. Das bereitgelegte Yukata tragen. Baden vor dem Essen. Kaiseki sieht zart aus, füllt aber in Schichten wie eine gute Partitur. Wenn Fuji erscheinen will, dann morgens. Mit der Seilbahn fahren: Schwefeldämpfe und eine Aussicht wie für Tusche entworfen.
Onsen-Etikette kurz
Vor dem Eintreten am Hocker gründlich waschen.
Keine Badekleidung. Kleines Handtuch mitnehmen, auf den Kopf oder Beckenrand legen.
Tattoos können heikel sein. Tattoo-freundliche Bäder suchen oder privat buchen.
Kyōto: wo die Zeit sich selbst ordnet
Kyōto änderte meinen Schritt. Ich mietete ein schlichtes Fahrrad und passte mich dem Fluss an. Am Fushimi Inari begann ich vor Sonnenaufgang mit Stirnlampe und Geduld. An den ersten Torgruppen vorbeigehen, um leere Wege zu finden. Auf Krähen hören. Die orangen Rahmen verwandeln das morgendliche Blau in einen Korridor aus Feuer.
In Gion blieb ich in den kleinen Gassen und ließ meine Füße namenlose Schreine finden. Hat man das Glück, eine Geiko oder Maiko auf dem Weg zur Arbeit zu sehen, tritt man zur Seite und blockiert nicht. Manche Szenen gehören nur der Erinnerung.
Arashiyama testete meine Disziplin. Der Bambushain ist im ersten Licht schön, aber im Garten von Tenryū-ji blieb ich. Stein, Wasser, Kiefer, ein Reiher, der Kreise in einem Spiegelhimmel zog. Später überquerte ich den Fluss und stieg zum Affenpark. Von oben hat man Kyōto in Menschengröße. Auf dem Rückweg kaufte ich warmes Yuba und aß im Stehen.
Kyōto-Notizen
Abends reservieren. Kleine Lokale füllen sich, Walk-ins selten.
Bargeld für kleine Schreine und Bäckereien mitnehmen.
Für Kimono-Fotos nur Läden wählen, die korrektes Tragen erklären. Respekt zuerst, Bilder danach.
Nara und Kōya-san: Wächter und eine Nacht bei Mönchen
Nara ist kurz von Kyōto entfernt und als halber Tag gut. Die Hirsche verbeugen sich für Cracker und stupsen nach Taschen. Maßvoll füttern und die Karte gefaltet halten. Der Große Buddha von Tōdai-ji trägt eine Ruhe, die keine Kamera einfängt. Unter den Balken stehen und durch Weihrauch nach oben schauen.
Dann fuhr ich weiter ins Gebirge nach Kōya-san. Der Bus stieg in Nebel, dann tauchte eine Tempelstadt auf wie ein für Schnee gebautes Set. Ich blieb in einem Shukubō und nahm am Abendgebet teil. Der Gesang presste den Raum in einen Ton. Das Abendessen war shōjin ryōri, jene vegetarische Küche, die wie eine Lektion in Aufmerksamkeit wirkt. Vor der Dämmerung schenkte ein Mönch Tee ein, der nach Zeder und Dampf schmeckte. Den Friedhof Okunoin im frühen Licht gehen, wenn Laternen glühen und Moos die Nacht hält.
Tempelübernachtungen
Vorausbuchen; viele haben einfache Websites.
Vor Einbruch der Dunkelheit ankommen. Türen schließen früh, Morgen beginnt mit der Glocke.
Dem Vorbild der Gastgeber folgen. Wenn sie sich verbeugen, verbeugen. Telefon schlafen lassen.
Hiroshima und Miyajima: Gewicht, Wasser und ein Tor in der Flut
Mit dem Shinkansen fuhr ich gen Westen und sah Landschaft zu Küste werden. In Hiroshima bewegte ich mich langsam. Der Friedenspark ist kein Ort für Eile. Namen lesen. Unter der A-Bomb Dome stehen. Danach Zeit draußen lassen. Eine Schüssel Okonomiyaki setzt einen auf einfache, freundliche Weise wieder zusammen.
Über dem Wasser steigt in Miyajima das Torii mit der Tide und sinkt mit ihr. Den Plan prüfen, um beides zu sehen. Bei Ebbe zwischen Seegras und Steinen gehen. Bei Flut schwebt das Tor, und die Insel atmet aus. Auf den Gipfel des Berges Misen wandern für eine Aussicht, die Meer und Himmel verbindet. Kleines Stativ für die Blaue Stunde mitnehmen. Die Insel glimmt, während Fähren Silberlinien ziehen.
Ōsaka und Kanazawa: Appetit und Handwerk
Ōsaka begrüßte mich mit Neon und Grill. In Dōtonbori zwinkern die Schilder wie ein Karussell, die Luft riecht nach Teig, Rind und Brühe. Ich folgte Einheimischen zu Steh-Theken, deutete auf Spieße und ließ mir eine Mahlzeit bauen. Takoyaki kommt brühend. Schnell fotografieren, dann einen Moment warten.
Für eine andere Stimmung fuhr ich nach Kanazawa, wo Gärten alte Versprechen halten. Kenroku-en zeigt, wie man Stein so setzt, dass Wasser singt. Im Samurai-Viertel öffnen Türen kleine Museen für Holz und Papier. Nach der Goldblatt-Werkstatt fragen. Der Prozess ist zugleich langsam und stark. Leicht wie Atem. Bereit zu reißen. Diesen Ausgleich lehrt Japan immer wieder.
Hokkaidō oder Okinawa: wähle dein Finale
Wer Schnee, Dampf und Fuchsspuren will, fährt nach Hokkaidō. Sapporo betreibt Winter als Willkommen statt als Prüfung. Soup Curry wärmt von innen. Im Rotenburo sitzen, während Schneeflocken Geräusche löschen.
Wer Korallen, Mangroven und ein langsameres Metrum will, fliegt nach Okinawa. Blau tiefer als Skyline, Soba, die anders biegt, Musik, die die Füße antworten lässt. Auto mieten und der Küste folgen, bis ein Strand ohne Namen kommt.
Feldnotizen, die mich getragen haben
Nach Licht planen. Schreine im Morgengrauen, Stadtbilder zur Blauen Stunde, Innenräume mittags.
Klein packen. Züge sind häufig. Ein Rucksack und eine Kameratasche bedeuten Freiheit.
Essen, was der Ort kann. Ramen im Norden, Kaiseki in Kyōto, Okonomiyaki in Hiroshima, Sushi an einem Tresen, wo der Chef dein Gesicht liest.
Linien achten. Schlange stehen gehört zur Kultur. Ohne Drängeln wirst du mit Anmut bedient.
Klang zählt. Tempelglocken, Zugmelodien, Zikaden im Sommer, die Stille von Schnee aufnehmen. Beim Schnitt bauen diese Töne die Erinnerung neu.
In Fülle präsent sein. Ist eine Straße oder ein Schrein voll, einen Block ausweichen. Japans beste Ecken liegen eine halbe Drehung abseits der offensichtlichen Route.
Ich verließ Japan mit einer Tasche voller Tickets und einem Telefon voller Licht. Geblieben ist die Balance der Gegensätze. Präzision und Spiel. Stille und Lied. Städte, die den Himmel erklimmen, und Räume, in denen Dampf die Scheibe beschlägt und die Welt die Schultern sinken lässt. Wer geht, gehe neugierig und geduldig. Verbeuge dich ein wenig tiefer, als du meinst. Halte den Morgen für Orte, die überdauert haben, und den Abend für solche, die sich stündlich neu erfinden. Den Rest regelt Japan.





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